Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel

Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPPV) ist eine Störung, die durch kurze starke Schwindelattacken gekennzeichnet ist, wenn der Kopf in bestimmte Richtungen bewegt wird.


Der BPPV ist eine Störung des Innenohrs, die vor allem ältere Menschen und Frauen über 40 Jahre betrifft.

Um diese Erkrankung zu verstehen, muss man die Bezeichnungen analysieren:

  • Lagerungsschwindel ist ein Gefühl des bewegten Körpers oder der bewegten Umgebung, obwohl beide sich nicht bewegen. Die betroffene Person verspürt Unwohlsein und Übelkeit.
  • Paroxysmal bedeutet, dass die Symptome sehr intensiv, wiederkehrend und plötzlich auftreten.
  • Lagerungsbedingt bedeutet, dass die Symptome durch bestimmte Kopfbewegungen ausgelöst werden.
  • Benigne bedeutet, dass diese Störung nicht durch eine schwerwiegende Ursache hervorgerufen wird und vorübergehend auftritt.

 

Inhalt

Entstehung des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels (pathologische Anatomie)

Das Innenohr enthält ein knöchernes Labyrinth und im Innern ein membranöses Labyrinth.
In dem membranösen Labyrinth befinden sich 3 Bogengänge:

  • Der vordere oder obere,
  • Der hintere,
  • Der horizontale oder seitliche.

Diese Gänge enthalten Sinneszellen (Zilien) und eine Endolymphe, die ermöglicht, die Drehung des Kopfes zu erfassen.
Das Labyrinth enthält auch zwei otolithische Organe:

  • Utriculus,
  • Sacculus.

Diese Strukturen erfassen die lineare Beschleunigung, also anterior-posteriore Bewegungen, und nehmen zudem die Schwerkraft wahr.

Otolithen (oder Ohrsteine) sind Kristalle aus Calciumkarbonat, die sich auf der Oberfläche der Sinneszellen des Utriculus in einer Gelatinekuppel befinden.

Paroxysmaler Lagerungsschwindel tritt auf, wenn sich die Otolithen, die aus dem Utriculus kommen, im Innern eines der Bogengänge bewegen.

Normalerweise gibt es in den Bogengängen nur Endolymphe.

Treten Otolithen in einen Bogengang ein, reizen sie massiv die Sinneshärchen, die sich in der Ampulle (einer Struktur im Bogengang, von der die Reize zum Vestibularisnerv ausgehen) des betreffenden Bogengangs befinden und somit Schwindel auslösen.

Je nach der Position der Otolithen kann der benigne paroxysmale Schwindel definiert werden als:

  • Cupulolithiasis – wenn sie an der Ampulle angelagert sind,
  • Canalolithiasis – wenn sie sich im Innern eines Bogenganges befinden.

Außerdem entsteht ein Nystagmus, eine rhythmische und ungewollte Augenbewegung.
Die Richtung des Nystagmus hängt ab:

  • Von der Erregung des Ampullen-Nervs im betroffenen Bogengang
  • Von der direkten Verbindung zu den extraokularen Muskeln.

Die Art des Nystagmus hängt von dem Bogengang ab, der durch die Canalolithiasis betroffen ist.

Der Grund für die Wanderung der Otolithen ist nicht geklärt.
Die Calciumkristalle können aufgrund von Traumen oder Virusinfektionen zerbrechen, doch in vielen Fällen verlagern sie sich ohne erkennbare Krankheiten oder Traumen.
Ursache könnte eine Degeneration der Protein- oder Gelatinematrix der Otolithenmembran aufgrund des Alterungsprozesses sein. (Fife D, FitzGerald JE. Do patients with benign paroxysmal positional vertigo receive prompt treatment? Analysis of waiting times and human and financial costs associated with current practice. Int J Audiol. 2005)

Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel kann folgenden Bogengang betreffen:

  • hinteren,
  • horizontalen,
  • vorderen (selten),
  • mindestens zwei Bogengänge gleichzeitig (sehr selten).

Aufgrund seiner Position ist der hintere Bogengang am häufigsten betroffen.
Der vordere ist weniger betroffen. (Bhattacharyya N, Baugh RF, Orvidas L, Barrs D, Bronston LJ, Cass S, et al. Clinical practice guideline: Benign paroxysmal positional vertigo. Otolaryngol Head Neck Surg. 2008).

 

Ursachen des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels

Die Ursache des BPPV ist meist unbekannt (idiopathisch).
Da er häufiger bei Frauen mittleren Alters vorkommt, nehmen Wissenschaftler an, dass sich hormonelle Veränderungen auf die Entwicklung der Erkrankung auswirken können.

In einer wissenschaftlichen Studie ist die Calciumdichte in den Knochen bei Frauen und auch bei Männern mit benignem paroxysmalen Lagerungsschwindel im Gegensatz zu Personen, die nicht unter Schwindelzuständen leiden, verringert (Jeong SH, Choi SH, Kim JY, Koo JW, Kim HJ, Kim JS. Osteopenia and osteoporosis in idiopathic benign positional vertigo. Neurology. 2009;72:1069–1076).
Diese Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Calciumstoffwechsel und der idiopathischen BPPV.

 

Symptome des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels

Hauptsymptom ist der Schwindel (Drehgefühl), der durch eine Bewegung des Kopfes verursacht wird.
In der Regel entwickelt ein Patient Schwindel:

  • Wenn er sich aus dem Bett erhebt,
  • Beim Drehen im Bett,
  • Beim Neigen des Kopfes nach hinten, zum Beispiel beim Blick nach oben,
  • Wenn er sich nach vorne neigt, zum Beispiel um die Schuhe zuzubinden.

Gewöhnlich ist eine typische Beschreibung des Symptoms:

„Wenn ich vom Bett aufstehe, habe ich plötzlich ein Schwindelgefühl, ich meine zu stürzen, doch wenn ich etwas warte, vergeht es wieder.“

Manch einer fügt hinzu:
„Ich bin erschrocken und habe mich sofort wieder aufs Bett gelegt, doch der Schwindel wurde nur noch schlimmer. Dann habe ich etwas gewartet und das Symptom ist vergangen.“

„Jedes Mal, wenn ich mich im Bett drehe, dreht es mich im Kopf.“

Allerdings können die Symptome bei Patienten variieren und können sich zeigen:

  • Unspezifisches Drehen im Kopf,
  • Haltungsinstabilität,
  • Übelkeit (Giacomini PG, Alessandrini M, Magrini A. Long-term postural abnormalities in benign paroxysmal positional vertigo. ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 2002;64:237–241).

Der Schwindel tritt intermittierend auf und hängt von seinem Sitz ab.
Patienten mit BPPV leiden tagsüber beim normalen Stehen nicht unter starkem Schwindel, aber morgens nach dem Aufstehen aus dem Bett.

Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel bei älteren Menschen

Die jugendliche Form ist von einer wesentlichen Symptomatologie gekennzeichnet, doch beim älteren Menschen tritt sie in leichter Form auf.
Der Patient ist ataxisch (Koordinationsprobleme) und fühlt sich nur im Liegen beschwerdefrei.
Bei älteren Menschentritt zeigt sich diese Pathologie durch Unsicherheit, Beschwerden beim Waschen usw.

 

Diagnose des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels

Der zuständige Arzt ist der Hals-Nasen-Ohrenarzt.

Zur Diagnoseerhebung untersucht der Arzt den Typ des Nystagmus des Patienten, der von dem Bogengang abhängt, in dem sich Otolithen befinden.

Es gibt dazu für jeden Kanal spezielle Veränderungen der Kopfposition.
Der Arzt bewegt den Kopf des Patienten in eine Richtung und beobachtet die Augenbewegungen.
Tritt keine Reaktion auf, führt er weitere Bewegungen durch, um alle Bogengänge zu untersuchen.

 

BPPV des hinteren Bogengangs

Bei dieser Art des Lagerungsschwindels ist die Dix-Hallpike-Lagerungsprobe angezeigt.
Das Verhalten der Otolithen im hinteren Kanal (Canalolithiasis) bei diesem Test:

  1. Sie entfernen sich von der Kuppel,
  2. Sie stimulieren den hinteren Kanal und beeinflussen den von der Ampulle weggerichteten Fluss der Endolymphe (erstes Ewald-Gesetz)

Die Erregung des hinteren Kanals aktiviert:

  1. Die oberen schrägen Augenmuskeln derselben Seite,
  2. Die unteren äußeren Augenmuskeln der gegenüberliegenden Seite.

Die Folge ist eine Abweichung der Augen nach unten und eine nach oben gerichtete Drehung der Augen.
In diesem Fall ist der Nystagmus linear-rotatorisch.

Gewöhnlich gilt für den Nystagmus:

  • Er beginnt mit einigen Sekunden Verzögerung,
  • Er vergeht innerhalb einer Minute wieder (in der Regel innerhalb von 30 Sekunden),
  • Seine Richtung ist in sitzender Position umgekehrt.

Der paroxysmale Lagerungsschwindel vom Cupula-Typ verursacht eine Verzögerung des kürzeren Nystagmus, bleibt aber länger bestehen.
Die mehrmalige Wiederholung des Tests verursacht eine Verringerung:

  1. Der Symptome,
  2. Des Nystagmus.

Dix-Hallpike-Lagerungsprobe zur Diagnose des BPPV des hinteren Bogenganges

Dieses Manöver ist die wichtigste Untersuchung zur Diagnose des BPPV im hinteren Bogengang.

Jedoch bestehen Kontraindikationen, weil der Patient eine Drehbewegung und Überstreckung des Halses durchführen muss, was Nerven und Arterien auf zervikaler Ebene dehnen und einengen kann:

  • Bei Patienten mit vorausgegangener Nackenoperation,
  • Bei Reizung einer zervikalen Nervenwurzel (zum Beispiel durch Kompression),
  • Bei Dissektion (Ablösung einer Schicht der äußeren Wand) einer Vertebral- oder Karotisarterie
  • Bei zervikalen Durchblutungsstörungen (zum Beispiel bei Herzkranzgefäßverengung)

Position des Patienten:

Aufrecht sitzend, die Beine auf der Untersuchungsliege ausgestreckt.
Der Kopf wird um 45° in Richtung des betroffenen Ohres gedreht (die Drehung nach dieser Seite erzeugt Schwindel).

Testausführung

Der Patient wird in Rückenklage (Bauch nach oben) gebracht und mit dem Kopf erfolgt:

  • Eine Drehung von etwa 45°,
  • Eine Streckung von etwa 30°, er muss mit dem Kopf über der Kante der Liege liegen und sich nur mit dem Nacken auf dem Bett abstützen.

Diese Position etwa eine Minute einhalten oder solange, bis Schwindel und Nystagmus vergangen sind.
Der Nystagmus beginnt, wenn sich der Patient hinlegt, nach einigen Sekunden ist der Höhepunkt erreicht.
Er vergeht langsam und allmählich und verschwindet nach etwa 20-40 Sekunden.

Der Test ist positiv, wenn Nystagmus und Schwindel auftreten.

Kann der Patient diesen Test nicht durchführen, gibt es eine Variante, bei der er auf der Seite liegt.
Die Ausgangsposition ist dieselbe.
Der Patient legt sich schnell auf die Seite, wobei der den Kopf um 45° in die entgegengesetzte Richtung dreht.

 

Paroxysmaler Lagerungsschwindel des seitlichen Bogengangs

Um den benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel des seitlichen Bogengangs (horizontal) zu diagnostizieren, führt man das Pagnini-McClure-Manöver oder den Roll-Test durch.

Ausgangsposition:

Patient in Rückenlage mit dem Kopf nach vorne gerichtet

Testausführung

Drehung des Kopfes um 90° nach einer Seite, Drehung des Kopfes um 90° nach der gegenüberliegenden Seite.

Bei diesem Manöver kann der horizontale Nystagmus ausschlagen:

  • Zum Boden zu (geotropischer Nystagmus) aufgrund der Wanderung der Otolithen hin zur Ampulle,
  • Himmelwärts (apogeotroper Nystagmus) aufgrund der Wanderung der Otolithen weg von der Ampulle.

Bei einer Canalolithiasis im seitlichen Bogengang sind die Verzögerung des Auftretens eines Nystagmus und seine Dauer länger als im hinteren Bogengang.
Die Identifikation der betroffenen Seite ist sehr wichtig für das Aufstellen einer wirksamen Schwindelbehandlung.
Das zweite Gesetz von Ewald sagt aus, dass: die Drehung zur gesunden Seite schneller einen Nystagmus hervorruft, als die Drehung zur betroffenen Seite.

Die Bestimmung des betroffenen Ohres kann aufgrund einer nahezu symmetrischen Reaktion schwierig sein.
In diesen Fällen können andere Untersuchungen Hinweise geben, um das betroffene Ohr zu bestimmen.
Bei dem BPPV des seitlichen Kanals kann der Nystagmus hervorgerufen sein durch:

  1. Positionswechsel aus dem Sitzen in die Rückenlage,
  2. Kopfneigung nach vorne beim Sitzen.

Bei bis zu 80 % der Fälle mit horizontalem BPPV ist der Nystagmus im Sitzen entgegengesetzt der liegenden Position.
Im Allgemeinen zeigt der Nystagmus, der im Liegen auftritt, zur betroffenen Seite, während der Nystagmus im Sitzen zur gegenüberliegenden Seite ausschlägt.
Außerdem kann der horizontale apogeotrope Nystagmus verschwinden, wenn der Kopf 10-20° zur betroffenen Seite gedreht wird (Nullpunkt).

Der Spontannystagmus (der ohne Anlass auftritt) ist nicht selten, er tritt in 70° der Fälle von BPPV des seitlichen Bogengangs auf.
Ursache kann die Position des seitlichen Bogenganges sein, der 30° gegenüber der horizontalen Ebene geneigt ist.
Somit kann die Erdanziehungskraft die Otolithen in den Bogengängen oder der Cupula auch in sitzender Position anstoßen.
Aus diesem Grund verschwindet der Spontannystagmus, wenn der Kopf um 30° nach vorn geneigt wird.
In dieser Position ist die Wirkung der Anziehungskraft aufgehoben, weil der horizontale Bogengang parallel zur horizontalen Ebene ausgerichtet ist.

 

Paroxysmaler Lagerungsschwindel des vorderen Bogenganges

Gutartige paroxysmale Lagerungsschwindel des vorderen Bogenganges sind selten.
Die Charakteristiken unterscheiden sich von denen des BPPV des hinteren Bogenganges.

Bei BPPV des vorderen Bogengangs können der gerade ausgerichtete Kopf und das Dix-Hallpike-Manöver nach beiden Seiten einen Nystagmus hervorrufen, der nach unten ausschlägt, mit einer rotierenden Komponente zur Seite des betroffenen Ohres (Brantberg K, Bergenius J. Treatment of anterior benign paroxysmal positional vertigo by canal plugging: a case report. Acta Otolaryngol. 2002;122:28–30).
Auch ist der rotatorische Nystagmus nicht so deutlich ausgeprägt wie beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel des hinteren Bogenganges.

 

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